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Saša Stanišić|Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne 

Luchterhand Verlag
256 Seiten
24 Euro
ISBN 978-3-630-87768-6

von Tessa Schäfer

 

Fünf Jahre nach seinem buchpreisprämierten Roman Herkunft und diversen Kinderbüchern später liefert Saša Stanišić mit Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne nicht nur einen preiswürdigen Titel, sondern auch einen bunten Erzählband mit zwölf ganz unterschiedlichen Geschichten. Gemeinsam haben diese Geschichten, dass sie am Ende eine Version der Wirklichkeit zeigen, die zwar denkbar, jedoch (bisher) so nicht eingetreten ist – ein „Proberaum fürs Leben“, wie es Fatih in der ersten Geschichte des Bandes nennt. Weiter eint alle Erzählungen der unvergleichliche Erzählstil sowie der Wortwitz Stanišićs und das Wiedertreffen alter Bekannter aus den vorherigen Werken des Autors. So trifft man auf die Jugendfreunde aus Herkunft oder auf Georg Horvath, einer Figur aus Stanišićs erstem Erzählband Fallensteller. Auch innerhalb des Buches sind einzelne Figuren miteinander verwoben – so lernt man in der einen Geschichte einen Teenagerjungen und in einer anderen seine hart arbeitende Mutter kennen. Sogar vor sich selbst macht Saša Stanišić nicht Halt und schreibt von sich in einer Teenagerversion im Jahre 1994 und später noch einmal in einer undefinierten Zukunft, vielleicht ist es 2024.

Nachdem man mit Fatih, Piero, Nico und Saša einen Nachmittag in den Heidelberger Weinbergen verbracht und über die anstehenden Pläne für die Sommerferien philosophiert hat, mit Dilek den Wiener Haushalt der Familie Sehner gereinigt und einen gedanklichen Ausflug in die Vergangenheit unternommen hat, die titelgebende Witwe bei ihrem täglichen Besuch auf den Friedhof begleitet und sich dabei gefragt hat, wie man eine Gießkanne auf einem Grab richtig mit dem Ausguss nach vorne platziert, das eigene Kind im Memory auf eine nicht ganz ehrliche Art fast besiegt hätte oder einen Urlaub auf Helgoland verbracht hat, trifft man die Hauptfiguren der einzelnen Geschichten am Ende des Erzählbandes noch einmal im Anhang, der Anprobe, wieder. Dort dürfen sie zehn Minuten eines Lebens anprobieren, das ihres sein könnte, müssen mit unterschiedlichen Nebenwirkungen umgehen und sich entscheiden, ob das eben Gesehene für sie Realität werden soll, sie also einloggen möchten. Dabei finden sich die Figuren inmitten eines Flugzeugabsturzes, auf einem Vortrag mit Angela Merkel, mit der man anscheinend bekannt ist, als Fußballtrainer einer Kindermannschaft in Hamburg oder als Familienvater mit der quälenden Frage, wie der Müll ordnungsgemäß sortiert wird, wieder.

Saša Stanišić legt mit seinem neuen Erzählband Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne eine kurzweilige Sammlung verschiedener möglicher Vergangenheiten und Zukünfte vor, die mal tiefgründig, mal aberwitzig, sowohl Fakten und Fiktion als auch Erinnerungen und Fantasien vermischen. Dabei liefert er mit dem Proberaum fürs Leben eine Idee, die auch über das eigene Leben und die genutzten oder ungenutzten Möglichkeiten phantasieren lässt.


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